Hallo,
einige unter uns sind ja persönlich durch die Aussetzung des Wehrdienstes und somit auch dem Wegfall der Zivildienstleistenden betroffen. Als Ersatz für die von Zivis geleisteten Tätigkeiten wird der Bundesfreiwilligendienst eingeführt. Im Jahr 2010 leisteten ca. 90 000 junge Männer Zivildienst. Der Bund rechnet mit ca. 35 000 Freiwilligen, sodass schon einmal eine einkalkulierte Lücke von 55 000 Stellen entsteht. Hätte ich Geld, würde ich einen hohen Betrag darauf setzen, dass die Zahl von 35 000 Freiwilligen ein Hirngespinnst ist und bleibt.
Wer sich für den Freiwilligendienst verpflichtet (schon ein Paradoxum den Wortbestandteil Freiwilligkeit mit Verpflichtung zu verbinden, welche vom zweiten Wortbestandteil Dienst abgeleitet wird) muss mindestens 20 Stunden wöchentlich (also 80 Stunden im Monat) ableisten. Dafür erhält der Freiwillige eine Vergütung von maximal 330 Euro im Monat (+ Mahlzeiten, Übernachtung und Berufskleidung, inkl. Sozialversicherungsbeiträge). Verpflichtend ist eine Dauer von mindestens 6 Monaten, je nach Tätigkeit ist die Mindestdauer länger, weil beispielsweise die Ausbildung zum Rettungssanitäter sehr zeitintensiv ist. Der Freiwilligendienst ist auf maximal 24 Monate begrenzt. Besteht Anspruch auf Kindergeld, fällt dieser in der Zeit des Dienstes weg. Soweit zu den Fakten.
Unsere Familienministerin Kristina Schröder erklärte am heutigen Tag:
Der Zivildienst sei schon immer arbeitsmarktneutral gewesen, das heißt, alle überlebenswichtigen Stellen hätten seit jeher mit festem Personal besetzt werden müssen. "Es werden keine Stellen betroffen sein, die überlebensnotwendig sind". (Quelle Focus online 16.05.2011).
Diese Aussage bedeutet, dass in der Praxis eigentlich niemand diese 90 000 Zivis gebraucht hätte, oder verstehe ich etwas falsch. Zeitgleich stellt Frau Schröder eine große Werbekampagne vor, welche die Bundesregierung für den Freiwilligendienst nun starten wolle, weil das Interesse der Freiwilligen zur Zeit faktisch bei null liegt (nach dem Komma meine Interpretation).
Arbeitsmarktneutral bedeutet im beschränkten Verständnis von Frau Schröder, dass beispielsweise Zivis für den Telefondienst oder Notdienst des Hausnotrufes eingesetzt wurden. Natürlich ist diese Tätigkeit nicht "überlebensnotwendig", sollen die Alten und Behinderten doch ruhig ihren Notrufknopf drücken, die Kosten für die kostenpflichtigen Warteschleifen sollen im nächsten Jahr ja wegfallen. Ausserdem sparen die Versicherungsträger eine Menge Geld, weil Oberschenkelhalsbrüche (ein sehr häufiger Grund für einen Notruf bei Älteren) dann nicht mehr behandelt und somit auch nicht mehr finanziert werden müssen (ok, Ironie aber bitterernst).
Nun stellt sich natürlich die Frage warum diese Stellen nicht seit eh und je mit Vollzeitbeschäftigten besetzt waren und nicht mit billigen Zwangsverpflichteten. An den Kosten kann dies nicht liegen, kassieren die Anbieter doch ca. 40 Euro im Monat pauschal und für jeden Einsatz zusätzlich für ihre Dienstleistung. Bei 1000 Hausnotrufkunden (man müsste wohl zentralisieren, was aber problemlos möglich ist, mein Ansprechpartner im Notfall sitzt ca. 450 Kilometer entfernt) würde alleine die Pauschale 40 000 Euro im Monat einbringen. Dafür sollte es doch möglich sein einige reguläre Arbeitsverhältnisse zu schaffen, ohne Verluste einzufahren. zumindest in diesem Bereich ist der Aufschrei über den Wegfall der billigen Arbeitskäfte bei den Anbietern schon einmal unbegründet. Die Gewinnmaximierung dürfte natürlich sinken. Dar die Beschäftigungen aber ja eh Arbeitsmarktneutral (also überflüssig) waren, dürfte ja auch kein finanzieller Verlust entstehen.
Die meisten Vereine haben massiven Mitgliederschwund, die Zahl der ehrenamtlich Engagierten ( bei gleichzeitiger Zunahme an Selbsthilfeangeboten, was wieder ein Paradoxum ist) nimmt ab. Unsere Bundesregierung glaubt allen Ernstes 35 000 Freiwillige zu finden, die für einen "Hungerlohn" einen Halbtagsjob verpfichtend (also freiwillig) ausführen. So wird Politik gemacht, zum heulen.
Im Übrigen ist dies ein Erbe unseres stets gut gegelten ehemaligen Bundeslügenbarons. Der letzte Gutmensch müsste doch spätestens jetzt begriffen haben, das ein Schaulaufen auf roten Teppichen oder ein Bundesminister im AC/DC T-Shirt nur beschränkt Sympathien entfacht, weil sein politisches Handeln stellenweise genauso schlecht war wie seine Doktorarbeit.
Gruss
Matti