Liebe Hippo,
ich möchte dir eine kleine Geschichte schreiben, die sich vor einigen Jahren genau so zugetragen hat:
Ich war einige Wochen in einer neurologischen Fachklinik. Dort habe ich mich mit einigen Mitpatienten angefreundet, vor allem bei den weiblichen Mitpatientinnen hatte ich einen "Stein im Brett". Dies lag nicht etwa daran, dass ich ein Aussehen wie Brat Pitt habe, nein viel mehr fand ich die Zuneigung, weil mich allem Anschein nach doch erheblich von vielen meiner Geschlechtsgenossen unterscheide: Ich kann zuhören!
An einem schönen Sommerabend saßen wir vor dem Klinikbistro. Die Stimmung war heiter, bis auf einmal, aus heiterem Himmel, ein männlicher Mitpatient das Wort ergriff. "Er könne gar nicht verstehen, was die Frauen (am Tisch) mit mir anfangen würden, warum sie mir so zugeneigt wären, ich würde doch nichts darstellen". Es folgten noch einige Andere Aussagen in diese Richtung.
Nun, als alter Kampfhahn habe ich natürlich gleich meinen Kamm aufgestellt. Viel schlimmer aber war, dass er mich genau an den Punkt meiner Selbstzweifel und Verletzlichkeit gebracht hatte. Ich bin dann ziemlich geknickt und resigniert auf mein Zimmer gegangen.
Am nächsten Tag hatte ich (einen von der Situation unabhängigen) Termin beim Klinikpsychologen. Dort habe ich die Situation von Vorabend angesprochen, weil sie mir immer noch in den Knochen steckte.
Die Antwort des Psychologen war erstaunlich und für mich zunächst völlig unverständlich: "Freuen sie sich über diese Situation!", waren seine Worte.
Völlig verdutzt antwortete ich; "Ja, aber..."
"Nein", sagte der Psycholge. Was ist den gestern Abend passiert. Sie hatten die Zuneigung der Frauen. Sie sind beliebt. Ihnen hört man zu, sie hören anderen zu.
Was hatte der Andere? Nichts, ausser Eifersucht auf ihre Fähigkeiten, auf das was sie als Mensch sehr wertvoll macht. Darauf hat er reagiert, auf nichts anderes. Er hat nicht ihre Schwächen aufgezählt, sondern seine eigenen offenbart.
Ich bin aus dieser Sitzung mit einem so starken Selbstwertgefühl herausgegangen, wie ich es selten zuvor in meinem Leben verspürt hatte. Das Wunderbare an diesem Erlebnis ist, dass ich nun ständig Situationen hinterfrage und mich nicht mehr klein mache. Aus sehr vielen vermeintlich negativen Erlebnissen ziehe ich Kraft, weil die Schwächen der Anderen nun mitunter meine Stärken sind.
Eine Lebensweisheit habe ich an diesem Abend und dem nachfolgenden Gespräch gelernt. Dinge und Situationen realistisch einzuschätzen und zu hinterfragen. Den Blickwinkel ändern.
Deshalb bin ich dem Idioten (Mitpatienten) sehr, sehr dankbar.
Matti