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Immer Pflegegeld bei Merkzeichen H?

19 Sep 2011 04:36 #1 von Chrismarie
Hallo Matti und alle zusammen,


unser Sohn) ist zu 100% schwerbehindert, hat Spina bifida, Hydrozephalus, ist blasen –und darminkontinent, Asperger–Autist, Rolli-Fahrer und hat außer dem Merkmalen aG auch das Merkzeichen H in seinem Schwerbehinderten-Ausweis stehen.

Wir bekamen von 1996 -2002 die Pflegestufe 1 für ihn, danach nicht mehr trotz zweimaligen Widerspruchs.

Nun habe ich heute hier bei euch gelesen, dass Behinderte mit dem Merkzeichen H Pflegegeld bekommen.

Meine Frage: Steht ihnen das bei diesem Merkzeichen ganz automatisch zu wie die andern Vergünstigungen oder ist das Pflegegeld trotz allem eine Ermessenssache des Gutachters vom MDK?

Vielleicht sollten wir versuchen, das Pflegegeld über den VDK noch mal von Neuem zu beantragen.
Wie man weiß, kann sich bei Spina bifida an der grundsätzlichen Ursache der Behinderung ja nichts verbessern.

Da unser Sohn sehr musikalisch ist und aufgrund des Asperger –Autismus im musikalischen Bereich seine „Inselbegabung“ hat, sogar mit absolutem Gehör,
spielt er etliche Instrumente.

Die Ärztin verlangte einige Handgriffe von ihm, die für ihn bei seiner Fingerfertigkeit natürlich keinerlei Problem darstellen, und schon war der Fall für sie erledigt.

Dass wir ihn aber nie mehr als einige Stunden alleine lassen können und er sehr viel Betreuung benötigt, fiel komplett unter den Tisch.

Was würdest du, was würdet ihr uns raten?

Freundliche Grüße,

Chrismarie

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19 Sep 2011 12:43 #2 von Matti
Hallo,

deine Frage lässt sich nur mit Ja und Nein beantworten. Grundsätzlich ist festzuhalten, dass es keinen Automatismus zwischen einer Schwerbehinderung und der Anerkennung einer Pflegestufe gibt. Dies liegt vor allem daran, dass die Anerkennung auf zwei unterschiedlichen Gesetzesgrundlagen basiert.

Der Schwerbehindertenausweis dient als Nachweis für die Inanspruchnahme von Rechten und Nachteilsausgleichen, welchen Menschen mit einer Behinderung per Gesetz zustehen. Diese sind im Sozialgesetzbuch (Neuntes Buch) festgelegt. Hinzu kommen Vergünstigungen die sich aus dem EStG (Einkommensteuergesetz) ergeben, also beispielsweise der Steuerfreibetrag. Die Anerkennung des Merkzeichen "H" berechtigt demnach zu bestimmten Nachteilsausgleichen.
Voraussetzung ist grundsätzlich, dass jeden Tag für die Dauer von mindestens zwei Stunden bei mindestens drei alltäglichen Verrichtungen (z. B. An- und Auskleiden, Nahrungsaufnahme, Körperpflege, Verrichten der Notdurft) fremde Hilfe geleistet werden muss.
Verrichtungen, die mit der Pflege der Person nicht unmittelbar zusammenhängen (z. B. im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung) müssen außer Betracht bleiben.

Wer von der Pflegeversicherung in die Pflegestufe III eingestuft wurde, erhält stets das Merkzeichen H. Bei Pflegestufe I liegt noch keine Hilflosigkeit im Sinne des Schwerbehindertenrechtes vor. Bei Pflegestufe II kommt es auf die Umstände des Einzelfalls an.

Bei Kindern gelten für die Hilflosigkeit besondere Kriterien.

Jetzt komme ich zu dem ersten Punkt meiner Antwort (dem Ja und Nein). Bei Anerkennung des Merkzeichen "H" (durch das Integrationsamt, nicht verwechseln mit der Pflegeversicherung) müssen oben genannte Kriterien erfüllt sein. Sind diese Kriterien erfüllt ist die Person Pflegebedürftig! (im Schwerbehindertenrecht, nicht verwechseln mit dem Pflegeversicherungsgesetz). Im Elften Buche Sozialgesetzbuch (SGB XI) ist die Pflegeversicherung geregelt. Zudem regeln die "Anhaltspunkte für die Gutachterliche Tätigkeit MDK" die Vorraussetzungen der Einstufung in eine Pflegestufe.

Entscheidend für die Einstufung in eine Pflegestufe ist nicht die Erkrankung oder deren Folgen, sondern ausschließlich der zeitliche Hilfebedarf der sich daraus ergibt! Es ist also nicht ausschlaggebend, ob dein Sohn Harn- bzw. Stuhlinkontinent ist, sondern ob er für die Versorgung einen zeitlichen Hilfebedarf durch eine dritte Person benötigt.

Haben die Integrationsämter diesen Hilfebedarf durch die Anerkennung des Merkzeichen "H" festgestellt und dies beruht auf tatsächlichen Fakten, dann ist eine erneute Antragsstellung bei der Pflegeversicherung auf jeden Fall sinnvoll. Ergibt eine Prüfung durch den MDK allerdings keine Hilfedürftigkeit (im Sinne einer Anerkennung einer Pflegestufe) könnte sogar das Merkzeichen "H" in Gefahr sein, weil man dazu verpflichtet ist gesundheitliche Veränderungen den Integrationsämtern mitzuteilen.

Fazit:

Das Merkzeichen "H" ergibt nicht automatisch eine Einstufung in eine Pflegestufe. Ohne anerkannte Pflegestufe kein Anspruch auf Pflegegeld.

Die Anerkennung des Merkzeichen "H" erfolgt nur, wenn Pflegebedürftigkeit vorliegt.

Daraus ergibt sich, dass ein Antrag auf Einstufung in eine Pflegestufe sinnvoll ist, weil objektiv Pflegebedüftigkeit vorliegt.

Problem dabei ist meist: Die Anerkennung des Merkzeichen "H" wird meist nach Aktenlage durchgeführt. Kriterium dafür ist nicht selten eine Einstufung in eine Pflegestufe. Die Anerkennung einer Pflegestufe wird immer persönlich vor Ort von einem Gutachter durchgeführt.

Weil dies ein sehr komplexes Themenfeld ist, biete ich Dir an mich einmal anzurufen. Meine Kontaktdaten findest du hier:
http://www.inkontinenz-selbsthilfe.com/ ... ntakt.html

Meine Frage: Wieviel Minuten Hilfebedarf hat dein Sohn am Tag. Dazu zählen ausschließlich Hilfestellung durch dritte (du, dein Mann oder ein Pflegedienst) in Form von direkter Beaufsichtung, Anleitung, teilweiser oder vollständiger Übernahme.


Gruss

Matti

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20 Sep 2011 04:54 #3 von Chrismarie
Hallo Matti,

vielen Dank für deine Mühe und deine umfangreichen Auskünfte.
Nun sehe ich schon viel klarer.

Wer Pflegestufe 2 hat, bekommt automatisch das Merkmal H im SB-Ausweis. Aber umgedreht funktioniert es nicht. Wer H hat, bekommt nicht automatisch Pflegegeld.
Vermutlich wird unser Sohn kein Pflegegeld bekommen, da wir sicher keine 2 Stunden pro Tag durchbekommen.
Eine Chance hätten wir nur, wenn die Betreuung als solche stärker anerkannt würde, wie es ja geplant ist. Aber bei den leeren Kassen kann das noch lange dauern.


Doch ich habe ja immerhin die zusätzlichen Betreuungsleistungen durchsetzen können.
Die Kasse lehnte den Antrag 1,5 Jahre ab. Dann schaltete ich den Bürgerbeauftragten unseres landes ein.
Innerhalb von 14 Tagen hatten wir einen positiven Bescheid.
Ohne weitere Begutachtung kam man bei der Überprüfung zu einem völlig anderen Befund trotz gleicher Sachlage.
Die Einschaltung des Bügerbeauftragten hatte sich wirklich gelohnt. So haben wir 1200 € pro Jahr für Freizeiten unseres Sohnes zur Verfügung.
Behinderten-Freizeiten sind bekanntlich wegen der Pflege und Betreuung immer sehr teuer.
Wir hatten auch schon den Pflegedienst hier, wenn wir mal ein paar Tage in Urlaub fahren wollten, unser Sohn aber arbeiten musste.

Vielleicht komme ich bei Gelegenheit auf dein Telefon-Angebot zurück.

Nochmals Danke und herzlichen Gruß,

Chrismarie

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20 Sep 2011 13:42 #4 von Matti
Hallo,

du schreibst:

Wer Pflegestufe 2 hat, bekommt automatisch das Merkmal H im SB-Ausweis.


Dies ist so nicht ganz richtig. Bei Pflegestufe 2 ist es eine Einzelfallentscheidung. Bei Pflegestufe 3 erwächst ein Anspruch. Allerdings funktioniert in Deutschland fast gar nichts automatisch. Es muss ein Antrag gestellt werden.

Für die Pflegestufe 1 muss täglich durchschnittlich mindestens 90 Minuten lang Hilfe geleistet werden. Davon müssen mindestens 46 Minuten auf mindestens zwei Verrichtungen der Grundpflege entfallen. Wie versorgt sich dein Sohn den beispielsweise mit seiner Inkontinenz. Kann er dies selbstständig? Allein durch die Hilfestellung bei dieser Verrichtung kommst du locker auf 45 Minuten täglich.

Gruss

Matti

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21 Sep 2011 03:38 #5 von Chrismarie
Hallo Matti,

wir haben unsern 34 jährigen Sohn immer sehr zur Selbständigkeit angehalten und ihm nicht unnötigerweise Arbeit abgenommen, die er selbst erledigen konnte. Deshalb ist er in Sachen Inkontinenz selbständig. Auch im Bereich Hygiene versorgt er sich selbst. Es dauert zwar alles etwas länger als bei unser einem, aber er kann dank Duschsitz alleine duschen, weil er eine kurze Strecke gehen kann.

Es erschien uns immer sehr wichtig, dass er möglichst wenig auf Hilfe angewiesen ist. Das fördert das Selbstvertrauen und macht zufriedener.

Bei ihm ist es halt die nötige Betreuung, die tagtäglich zu leisten ist. Wir müssen immer da sein und können ihn nur mal stundenweise alleine lassen.

Für Arbeiten im Haushalt (Wäsche waschen und bügeln, einkaufen etc.) wurden uns nur 45 Min. pro Woche anerkannt. Damit komme ich allerdings bei weitem nicht hin, weil ich seine Wäsche immer gesondert waschen muss.

Aber ich bin froh, dass unser Sohn später, wenn wir mal nicht mehr können, nicht allzu viel auf fremde Hilfe angewiesen ist.

Danke für deine Antwort und lieben Gruß,

Chrismarie

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