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Magazin Ohrenkuss von Menschen mit Down-Syndrom

20 Mai 2005 00:03 #1 von matti
Das Projekt "Ohrenkuss" findet unsere höchste Anerkennung. Lesen Sie selbst wer und was hinter Ohrenkuss steckt....


Ohrenkuss – das Magazin gemacht mit den Texten von Menschen mit Down-Syndrom.



Ein Dienstagnachmittag in Bonn. In einem kleinen Atelier-Studio sitzen zwölf Personen an einem großen Tisch und diskutieren. Um sie herum Regale, voll gestopft mit Büchern und Zeitschriften, dazwischen Papierberge, Computer, Drucker, EDV – eine ganz normale Konferenz in einer ganz normalen Redaktion, so scheint es. Wäre da nicht der eine Unterschied: Alle Redakteure haben das so genannte Down-Syndrom, und alle schreiben sie für ein besonderes Magazin – für Ohrenkuss.


Über (fast) alles haben die Autorinnen und Autoren von Ohrenkuss schon einmal geschrieben: über die Liebe, die Musik, über Essen und Trinken, Sport treiben und den ewi-gen Konflikt zwischen Männern und Frauen. Die Themen dieses ungewöhnlichen Magazins sind so vielfältig wie das Leben selbst. Menschen mit Down-Syndrom schreiben in Ohrenkuss über das, was sie bewegt, verleihen ihren Gefüh-len Worte, teilen ihre Sicht der Welt den Lesern mit. Zwei-mal jährlich erscheint Ohrenkuss – in einer hochwertigen Aufmachung, layoutet von einer Profi-Grafikerin, gedruckt auf edlem Papier. Die Themen bestimmen die Autoren selbst, genauso wie ihre Texte eins zu eins in dem Magazin wiedergegeben werden – ohne Anpassungen an die aktuelle Rechtschreibung, ohne Korrekturen bei Grammatik oder Interpunktion.

Bei Ohrenkuss kann jeder mitmachen, der das so genannte „Down-Syndrom“ hat – auch bekannt als „Trisomie 21“. Bei Menschen mit dieser so genannten Behinderung ist das Chromosom 21 dreimal vorhanden – statt zweimal, wie es normalerweise der Fall ist.

Wie Robin Hood Ohrenkuss erschaffen hat

Die erste Idee für das Magazin kam der Humangenetikerin Katja de Bragança vor mehr als fünfzehn Jahren auf einem internationalen Kongress zum Thema Down-Syndrom in Madrid. Eine Rednerin legte ergänzend zu ihrem Vortrag eine Overheadfolie auf, Inhalt: die Geschichte von Robin Hood, geschrieben von einem Jungen mit Down-Syndrom. Anstatt den Worten der Rednerin zu lauschen, liest de Bra-gança die Folie – und ist auf Anhieb begeistert. Besonders gefiel ihr der ungewöhnliche Schreibstil und die witzige Art des ihr unbekannten Autors. Ein Text von einem Menschen mit Down-Syndrom, wo gab es denn so etwas? „Wir hatten ja gelernt, dass es zu den Menschen mit einer Trisomie 21 gehört, dass sie eben nicht lesen, geschweige denn schreiben können“, sagt sie. Da müsste doch mehr daraus zu machen sein, dachte sich de Bragança.

Bis zur Geburt von Ohrenkuss dauerte es dann noch einige Jahre – bis 1998 genau genommen, als die Universität Bonn durch die Volkswagen-Stiftung den Zuschlag für ein For-schungsvorhaben bekam, das die Lebenswirklichkeit von Menschen mit Down-Syndrom möglichst anschaulich dar-stellen sollte. De Bragança erinnerte sich wieder an die selbst geschriebene Geschichte aus Madrid. Was lag also näher, als ein Magazin mit Texten von Menschen mit Down-Syndrom ins Leben zu rufen?

Heute schreiben bei Ohrenkuss pro Ausgabe bis zu 50 Auto-rinnen und Autoren. Neun davon am „Stammsitz“ des Heftes in Bonn, die übrigen, im Ohrenkuss-Jargon „Fernkorrespon-denten“ genannt, schicken aus dem ganzen Land ihre Texte an das Bonner Team. Was ursprünglich mal ein wissen-schaftliches Forschungsprojekt war, hat sich längst zu einem Selbstläufer entwickelt.

Ideen sammeln – Abstimmen – Schreiben:
Ein Heft entsteht

Bis ein Ohrenkuss-Heft erscheint, müssen viele Arbeits-schritte erledigt werden. Am Anfang steht immer die The-mensuche. Die Bonner Redaktion sammelt Ideen, diskutiert sie und stimmt schließlich demokratisch ab, wie die Schwer-punkte des jeweils nächsten Heftes lauten sollen. Sobald das Thema steht, wird es in der ersten Redaktionssitzung inten-siv miteinander besprochen. Sämtliche Gedankengänge, Assoziationen und Ideensplitter werden gesammelt und auf-geschrieben – die Ergebnisse dieses ersten Gedankenaustau-sches finden sich später auf der Seite 4 und 5 des jeweiligen Heftes wieder, der so genannten „Schwebeseite“, wo die gefundenen Begriffe sprichwörtlich auf dem Papier schwe-ben und für das gesamte Heft einstimmen. Die Fernkorres-pondenten erhalten einen Brief mit diesen Begriffen und dem Thema des nächsten Heftes.

Und dann – geht es ans Schreiben. In Bonn trifft man sich alle zwei Wochen zur großen Konferenz. Überall liegen Klemmmappen herum, auf denen der Name eines der Auto-ren vermerkt ist. Auf dieser Mappe sammeln die Autoren ihre Texte. Jeder schreibt selbst – per Hand, mit der Schreibmaschine oder auf dem Computer. So wie er es am besten kann. Die Autoren, die nicht selber schreiben können, haben dennoch etwas zu sagen – sie diktieren ihre Texte oder sprechen sie auf Band. Katja de Bragança und Bärbel Peschka – für die Finanzen bei Ohrenkuss zuständig – sind noch heute, nach der langen Arbeit mit den Autoren, glei-chermaßen begeistert, wie diszipliniert es bei einer solchen Redaktionssitzung zugeht. Alle arbeiten konzentriert am Thema und sind sichtlich daran interessiert, gute Ergebnisse zu produzieren. Die Fernkorrespondenten stehen dem in nichts nach. Im Gegensatz zu Autoren für andere Publikatio-nen halten die Ohrenkuss-Autoren die geforderten Rahmen-bedingungen (zum Beispiel was die Länge der Texte oder Einsendefristen betrifft) immer ein. „Wenn aber einer selbst-ständig einen abweichenden Beitrag einsendet, ist er meis-tens sehr originell und natürlich willkommen“, fügt Peschka augenzwinkernd hinzu.

Zur Recherche gemeinsam unterwegs

Da sämtliche Hefte an ein Thema gebunden sind, müssen die Autoren dazu wie ganz normale Journalisten recherchieren beziehungsweise sich mit dem Thema näher auseinander setzen. Dazu gehören dann auch schon mal gemeinsame Reisen mit der Redaktion, begleitet von Martin Thelemann und Susanne Ritz als zusätzliche Assistenz. Für das Thema „Glücksdrogen im Test“ zum Beispiel fuhr die gesamte Re-daktion nach Hamburg und besuchte das Gewürzmuseum in der Speicherstadt. Es gab eine Sonderausstellung zu bestau-nen und viel zu lernen über „Die mystische Welt der Kräu-terhexen“. Das geheimnisvolle Thema beflügelte sofort die Fantasie des Redaktionsteams – viele Texte in diesem Oh-renkuss-Heft zeugen davon, dass die Fahrt nach Hamburg ein voller Erfolg war.

Ansprechende Fotos zeigen den Spaß an der Arbeit

Natürlich gehören zu einem gelungenen Magazin neben guten Texten auch aussagekräftige Fotos. Denn ein gutes Bild sagt mehr als tausend Worte. Eine der Grundideen des Projektes war es von Anfang an, ansprechende Bilder von Menschen mit Down-Syndrom in Umlauf zu bringen. Das schafft Nähe und baut Vorurteile ab. Negativbeispiele, sagen die Ohrenkuss-Macher, gibt es genug – gerade bei Medizi-nern oder in der Ausbildung an den Universitäten. Da wer-den Menschen mit Down-Syndrom in Unterwäsche vor einer gekachelten Wand nebst Messlatte abgelichtet gezeigt; größ-tenteils unscharfe und Jahrzehnte alte Schwarzweiß-Dias. Mit der Lebenswirklichkeit und dem, wie sich Menschen mit einer Trisomie 21 selber sehen, hat das gar nichts zu tun.

Zahlreiche Fotografen haben das Projekt in den vergangenen Jahren begleitet. Für die ersten drei Hefte stand der Bremer Fotograf Olaf Schlote an der Seite des Bonner Redaktions-teams, Erika Schneider aus Bonn erstellte Bilder für das Heft „Reisen – Afrika“ und „Arbeit“. Herby Sachs aus Köln foto-grafierte die Umschlagmotive für das Heft „Arbeit“. Michael Bause aus Bonn begleitet das Ohrenkuss-Team für die Bil-derstrecke des Heftes „In der Nacht“ – diese Ausgabe war im Jahr 2000 übrigens gleichzeitig Katalog einer unter dem-selben Titel laufenden Ausstellung im Bonner Künstlerfo-rum. Inzwischen ist Bause der Haus- und Hoffotograf von Ohrenkuss – die Ausgaben „Musik“, „Frau und Mann“ und „Glücksdrogen im Test“ wurden ebenfalls von ihm begleitet und visuell geprägt. Die Ausgabe zum Sport wurde mit Bildmaterial von Peter Lange und Ute Klein ermöglicht. Alle anderen Aufnahmen entstanden während der gemein-samen Ohrenkuss-Arbeit (Fotografin: Katja de Bragança). Das Titelbild zum Heft „Reisen – Afrika“ wurde von dem Autor Tobias Wolf fotografiert, die drei Bilder auf der In-nenseite des „Glücksdrogen im Test“-Heftes stammen von der Ohrenkuss-Redakteurin Angela Fritzen.

Beim Italiener zusammen feiern

Acht Wochen vor Erscheinen des Heftes müssen sämtliche Texte fertig sein. Alles, was bis dahin produziert worden ist – Geschriebenes, Zeichnungen, Fotos –, geht dann in die vertrauensvollen Hände der Ohrenkuss-Grafikerin Maya Hässig, die dem neuen Heft die unverwechselbare Ohren-kuss-Optik verleiht. Danach gibt es – wie bei jedem anderen Magazin – die üblichen Korrekturphasen und Änderungen. Wenn das fertige Heft schließlich aus der Druckerei kommt, muss das natürlich gebührend gefeiert werden. Beim letzten Fest in der Bonner Lieblingspizzeria des Teams waren mehr als 30 Personen anwesend, die alle in der einen oder anderen Form zum Gelingen des Heftes beigetragen haben – von dem Redakteursteam über die Grafikerin, die Fotografen, die Abonnentenbetreuerin Regina Heinen bis hin zu den Inter-netspezialisten, die rechtzeitig vor Erscheinen Teile des Hef-tes online gestellt haben.

In den langen Jahren des Projektes haben sich viele Men-schen ein Bild von Ohrenkuss machen können – auch wenn sie noch nie ein Heft in den Händen gehalten haben. Am Künstlerforum in Bonn hat es bislang zwei Ausstellungen mit Fotografien und Texten des Teams gegeben. Die Ohren-kuss-Website wird von Menschen aus ganz Deutschland regelmäßig besucht – jeder Ohrenkuss-Autor ist mit einem Porträt vertreten, und einige bekommen deshalb auch regel-mäßig Fanpost, über die sie sich natürlich besonders freuen. 1999 ist Ohrenkuss mit dem Förderpreis „Demokratie leben“ von Bundestagspräsident Wolfgang Thierse ausgezeichnet worden; der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft und die Volkswagen-Stiftung haben das Projekt finanziell unterstützt.

Bei Lesungen den Applaus genießen

Wer sich ein noch besseres Bild von Ohrenkuss machen möchte, der darf eine der beliebten Ohrenkuss-Lesungen nicht verpassen. Hier tragen die Autorinnen und Autoren ihre selbst verfassten Texte einem gespannt lauschenden Publikum vor. Und stellen so unter Beweis, dass Menschen mit Down-Syndrom eben doch schreiben und (vor)lesen können – wenn man sie entsprechend fordert und fördert wie zum Beispiel durch ein Lesetraining mit der Schauspielerin und Musikerin Gaby Pochert. Solche Abende – mit direktem Kontakt zum Publikum – sind eine große Belohnung für die manchmal harte, aber immer viel Spaß bringende Arbeit an einem Heft. Bis sich das Team dann wieder in der Ohren-kuss-Stammpizzeria trifft, um die Premiere des nächsten Heftes ausgiebig zu feiern.

Ohrenkuss – das Magazin gemacht mit den Texten von Menschen mit Down-Syndrom

Ohrenkuss ... da rein, da raus
In der Maar 10, 53175 Bonn

Telefon 0228 - 386 23 54
Telefax 0228 - 536 64 98
E-Mail info@ohrenkuss.de

http://www.ohrenkuss.de



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Matti

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