Kennen Sie das?
Da hat man den Bekannten etliche Jahre nicht mehr gesehen und auch nichts von ihm gehört, und dann steht, ja viel schlimmer: „sitzt“ er doch plötzlich vor einem, im Rollstuhl.
Da weiß man doch gar nicht, was man sagen soll, besser gesagt, wie man dasjenige, was man nicht sagen kann, sagen soll.
Am liebsten würde man den Film einige Meter zurückspulen und an der letzten Kreuzung einen anderen Weg nehmen. Aber nun ist es passiert und man steht dem Menschen, den man von früher her ganz gut kennt, nun gegenüber und sieht, daß er behindert ist.
Blitzschnell durchsucht man seine geistige Festplatte nach den passenden Makros und bevor man sie auf Tauglichkeit gecheckt hat, nehmen sie selbstextrahierend ihren Lauf und man hört sich reden.
Weiß Gott, woher das Gedächtnis diese merkwürdigen Tipps hat, aber die Assoziationen überfluten einen nur so, und sie lassen sich auch nicht mehr stoppen.
Man hat den Drang, dem anderen seine Worte und Sätze abnehmen zu müssen, weil man ja schon weiß, was er sagen will oder zu berichten hat. Man muss da sicher als Nichtbehinderter die Initiative ergreifen, nur so lässt sich das Gespräch überhaupt noch in emotional halbwegs sicheren Bahnen steuern.
Behinderte sind ja von Natur aus traurig, deswegen sollten Sie Ihr Gegenüber schon einmal aufmuntern, bevor Sie überhaupt nur ein Wort sagen!
Tipp 1:
Hauen Sie ihm kräftig auf die Schulter!
Wenn er nicht sofort freudig strahlt, lassen Sie die eine Hand auf seiner Schulter liegen, damit Sie, wenn nötig, sofort nachschlagen können, und drücken Sie ihm kräftigst mit der anderen Hand die seine. Hart aber herzlich ist hier die Devise. Und brüllen Sie ihm ein deutliches „Na, lebst Du auch noch?“ ins Ohr. Behinderte sind ja nicht nur immer halb blind, sondern fast immer auch noch schwerhörig, deshalb sollten Sie auch auf keinen Fall eine Antwort abwarten, sondern :
Tipp 2:
Lenken Sie den Behinderten sofort von seiner Behinderung ab! Erzählen Sie ihm, dass Sie auch nicht laufen können, weil Sie permanent Schmerzen im Knie haben und Ihnen die Wanderurlaube in den Dolomiten mittlerweile doch große Probleme bereiten.
Tipp 3:
Zeigen Sie dem Behinderten einen Weg aus seinem Dilemma auf! Berichten Sie ihm von der neuen Theorie, die Sie neulich gelesen haben, daß nämlich der Behinderte nur
w o l l e n muß, um seine Behinderung zu überwinden. Er wird überrascht sein, wenn er erfährt, daß er eigentlich nur nicht laufen
w i l l.
Tipp 4:
Wenn er das nicht glauben mag, dann erzählen Sie ihm wenigstens von dem Magnetarmband, welches Sie neulich gekauft haben und das Ihre Leiden kurzfristig hat verschwinden lassen. Versprechen Sie ihm, dass Sie diese Magnetarmbänder preiswert besorgen können. Vergessen Sie nicht, zu erwähnen, daß ein Sechserpack für die Selbsthilfegruppe den Preis um 35% senken würde.
Tipp 5:
Klären Sie ihn unbedingt darüber auf, daß er die Räder seines doch offensichtlich sehr bequemen Rolli´s völlig falsch anfasst. Drücken Sie konsequent seine Hände in der richtigen Position auf die Räder, auch wenn er gerade durch einen Haufen Hundescheisse gefahren ist. Machen Sie ihm eloquent begreiflich, daß Sie als Normalo derartige Sachen viel besser, weil aus anderem Blickwinkel, beurteilen können.
Tipp 6:
Wenn er das auch nicht will, entlocken Sie ihm wenigstens, weshalb er so depressiv ist. Entwickeln Sie einen Plan, wie er besser in die Gesellschaft integriert werden kann. Bieten Sie ihm an, Mitglied in Ihrem Bergsteiger- oder Taubenzuchtverein zu werden. Wischen Sie seine Bedenken mit einer Handbewegung vom Tisch, wiederholen Sie den Schlag auf die Schulter und bekräftigen Sie: „Wir kriegen das schon hin!“
Tipp 7:
Sollte der Behinderte sich immer noch widerspenstig zeigen, dann nehmen sie kein Blatt vor den Mund und fragen Sie ihn einfach, weshalb Behinderte immer so aggressiv sind. Machen Sie ihm klar, daß er selbst Schuld ist, wenn er am Rande der Gesellschaft lebt, weil er sich ja gar nicht integrieren lassen will, und dass er wohl deshalb so aggressiv ist.
Tipp 8:
Stellen Sie für sich wieder einmal fest, was Sie schon immer wussten:
1 ) Behinderte sind traurig, weil sie nicht sehen können, daß andere auch Probleme haben.
2 ) Behinderte wollen ihre Behinderung gar nicht loswerden und auch kein Geld für ihr Leiden ausgeben.
3 ) Behinderte wollen sich nicht integrieren lassen und wenn man sie anspricht, werden sie aggressiv.
Fazit:
Man kann machen was man will,
denen ist doch nichts recht zu machen.
Ich leg mich wieder hin
Eckhard