Liebe Marion
Entschuldige, dass länger nicht geschrieben habe. Ich war mit Arbeit überhäuft und wusste zuerst auch nicht, was ich auf Deinen Beitrag schreiben soll. Dennoch beschäftigt mich die Situation Deines Sohnes, weshalb ich mir darüber auch etwas Gedanken gemacht habe.
Mein Sohn hat früher Judo gemacht, leider hat er den Sport aufgegeben. Im letzten Jahr hat er mit Tanzen angefangen und hat aus eigenem Willen immer weiter gemacht. Auf Grund der jetzigen Lage geht das augenblicklich aber nicht.
Das finde ich sehr bedauerlich, umso mehr weil Du weiter unten schreibst
Außerdem hat mein Sohn immer so eine Wut in sich. Das läßt sich schwer beschreiben. Aber man merkt, daß da unterschwellig etwas brodelt. Er hat das selbst formuliert, kann aber nicht sagen, woher es kommt.
Sport zu treiben heisst auch sich abzulenken, Frust loszuwerden, sich zu entspannen und auch - wenn vorhanden - Wutgefühle abzubauen oder zu kontrollieren. Ich fühle mich immer am besten, nachdem ich mich körperlich verausgabt habe. Dann ist auch meine Blase ruhiger und die Verspannung im Beckenboden, welche mich meist begleitet, ist für eine Zeit wie weg. Es muss nicht umbedingt Sport sein, irgendeine aktive Tätigkeit, die einen fesselt und einnimmt, kann helfen. Vielleicht findet Ihr ja einen Weg, dass er wieder aktiver wird.
Wie äussert sich die Enkopresis bei Deinem Sohn? Verliert er viel und regelmässig Stuhl, oder sind das sporadische 'Schmierunfälle'? Wie ich bereits geschrieben habe, ist meine persönlich Erfahrung mit der Stuhlinkontinenz, dass vieles von meinem Lebensrhythmus abhängt. Ideal ist, wenn ich aufstehe, esse, einen Kaffee trinke und dann in Ruhe Stuhl lasse. Dann habe ich für die nächsten 24 Stunden meistens Ruhe. Könnte sich Dein Sohn so einen Rhythmus aneignen (sein Darm ist ja nun gross genug, so dass er nicht alle paar Stunden auf's Klo muss)? Dann wäre alles möglicherweise viel entspannter. Wenn ich Stuhldrang spüre, muss ich sofort reagieren und die Toilette aufsuchen. Weil ich aber meist den täglichen Stuhlgang am Morgen erledigen kann und dann meine Ruhe habe, kommt es nur alle paar Wochen vor, dass ich in eine Stresssituation komme (und dann ist es etwas Glücksache, ob ich es noch auf die Toilette schaffe).
Ich war gestern bei unserer Psychologin und wir sind verschiedene Aspekte durchgegangen. Es gab in seinem Leben 3 Situationen, wo er die Enkopresis im Griff hatte: die bereits erwähnte Englandreise, während der Hypnosetherapie sowie als wir 3 Wochen zur Kur waren. Das zeigt mir, er kann es. Die Frage ist, warum tut er es nicht, da er doch kennengelernt hat, wie es ist, ohne zu leben.
Dass Dein Sohn Phasen hatte, in welchen er die Enkopresis unter Kontrolle hatte, ist ja sehr positiv! Vielleicht gibt dies Euch Anhaltspunkte, was hilft oder nicht hilft (z.B. hilft wie oben erwähnt ein geregelter Tagesrhythmus, ein Ziel oder etwas besonderes wie eine Reise oder ein Tapetenwechsel), und vielleicht könnt Ihr solche Phasen immer wieder aktivieren. Die Darm- und Blasenentleerung hängt ja stark von unserem peripheren Nervensystem ab, welches nicht aktiv vom Hirn gestreut wird, sondern auf die Bedürfnisse und das Befinden des Körpers direkt reagiert. D.h., es kann sein, dass Dein Sohn weniger Mühe mit der Stuhlkontrolle hat, wenn er entspannt ist, sich über etwas freuen kann, das Leben bewusst geniesst.... Nun ist das Leben (insbesondere eine Teenagers) viel zu komplex, als dann man nur solche Momente erzeugen könnte, aber man kann solche Momente immer wieder erzeugen.
Im Laufe der Zeit hat er ganz gut gelernt, wie er mit Therapeuten umgehen muß, d.h. er antwortet reflektiert und weiß, was gehört werden will. Er hat sich da eine freundliche Fassade aufgebaut. Durch diese Wand muß der Therapeut erst einmal durch.
Was psychologische Therapien angeht, bin ich überzeugt, dass die Erfolgsaussichten massgeblich von der Eigenmotivation der therapierten Person abhängen. Wie ich schon früher geschrieben habe, könnte ich es basierend auf meiner eigenen Erfahrung verstehen, wenn diese Eigenmotivation bei Deinem Sohn nicht besonders gross wäre, und das würde ich ihm auch nicht vorwerfen. Möglicherweise macht es die Tatsache, dass es keine physiologische Erklärung für die Enkropesis gibt, die Sache für Deinen Sohn noch viel schwieriger. Das damit verbundene 'Fischen im Trüben' ist nervenaufreibend und verursacht Frust. Insofern ist es für mich nicht erstaunlich, dass Dein Sohn zwischendurch resigniert. Vielleicht hilft es Euch, einen Schritt zurückzugehen, die Enkopresis etwas aus dem Mittelpunkt des Alltags zu nehmen, Wege finden, wie Ihr damit umgehen könnt und gleichzeitig in kleinen Schritten versuchen, die Lage zu verbessern.
Herzliche Grüsse
Martin