Hallo Jens,
deine Frage ist gut. Deshalb möchte auch ich gerne meine Beweggründe nennen und meine Vorteile aus meiner Vereinsmitgliedschaft beschreiben.
Als ich mich vor gut 20 Jahren zum ersten Mal mit Selbsthilfe beschäftigte, war das Internet gerade aus dem „Ei“ geschlüpft. Zumindest sah alles noch ganz anders aus. Mark Zuckerberg, der Gründer von Facebook, war gerade einmal 12 Jahre alt. Facebook gibt es erst seit 2004, wer hielte dies heute noch für möglich. Meine erste Homepage und die Domain
www.inkontinenz-selbsthilfe.com
sind also älter als Facebook.
Die Selbsthilfesituation war auch eine völlig andere, wenn es um das Thema Inkontinenz ging. Es gab bereits die Deutsche Kontinenz Gesellschaft e.V., eine Fachgesellschaft. Im Jahr 2002 gründete ich mit weiteren Betroffenen, den heute noch bestehenden Selbsthilfeverband Inkontinenz e.V. in Gießen.
Schnell stellte sich heraus, dass die Strukturen dieses Vereins, ich begleitete dort niemals ein Vorstandsamt, meinen Vorstellungen völlig entgegenliefen.
Auch daraus resultierte die Idee einen neuen Verein zu gründen, die Inkontinenz Selbsthilfe e.V.
Ich könnte natürlich jetzt viele Ausführungen dazu machen, dass ich im Laufe der 10 Jahre seit Vereinsgründung, ganz wunderbaren Menschen begegnet bin und echte Freunde gewonnen habe. Dies ist ganz definitiv so.
Ich möchte aber primär darüber berichten was mir dieser Verein gibt und wie ich mich durch meine Mitgliedschaft (ja, auch ich bin ein Vereinsmitglied) verändert habe, welche positiven Erfahrungen ich gemacht habe, wie ich in und an vielen Punkten meines Lebens gereift bin.
Ich stand auch in meinem beruflichen Werdegang viele Jahre in verantwortlicher und leitender Position. Jung war ich und somit auch deutlich unerfahrener, vielleicht sogar ein Stück naiver, als heute.
Als es mit der Vereinsgründung hier ernst wurde, führte ich erste Gespräche mit Medien, Förderern, Politik und Kostenträgern. Auf diesem Niveau hatte ich mich zuvor nicht bewegt.
Ich war erst einige Jahre zuvor aus dem Erwerbsleben durch Berentung ausgeschieden und auch mein Rollstuhl war noch relativ neu für mich. Ich suchte bewusst nach einer Aufgabe mit Verantwortung. Diese sollte ich deutlicher und in einer Wucht erhalten, wie ich es nicht erwartet hatte.
Schon sechs Monate nach Vereinsgründung nahmen wir auf der weltweit größten Messe für Menschen mit Behinderung und Pflegebedarf, der Rehacare 2006 in Düsseldorf, als Aussteller mit eigenem Stand teil. Ein wenig bin ich ins kalte Wasser gesprungen, den so etwas hatte ich verantwortlich zuvor auch noch nie gemacht. Hunderte Gespräche habe ich mit Betroffenen, Angehörigen, beruflich Interessierten und Firmenvertretern und Medien an diesen vier Messetagen geführt. Danach hatte ich meine „Feuertaufe“ bestanden.
Zwei Dinge habe ich auf der Messe gelernt: Demut, durch die Lebenssituation Anderer und Selbstbewusstsein. Letzteres lag nämlich ziemlich am Boden nach meiner Berentung.
Es war gelungen eine Gemeinschaft zu schaffen und ich durfte daran verantwortlich teilhaben. Dies ist nach wie vor ein schönes Gefühl für mich und befriedigt mich zutiefst.
Im Jahr 2008 folgte die nächste „Feuertaufe“. Ich moderierte eine über fünfstündige Vereins-Veranstaltung, vor gut 250 Zuhörern. So etwas hätte ich mir zuvor nie vorstellen können, zugegeben auch heute noch zählt dies nicht zu meinen Lieblingsaufgaben. Der angenehme Effekt lag aber darin, dass ich meine eigenen Grenzen überschritten hatte. Daraus habe ich Stärke bezogen und dies macht sich nach wie vor in vielen Bereichen meines Lebens positiv bemerkbar.
Dozententätigkeit folgte an der Universitätsklinik Gießen und der Pflegeschule des Evangelischen Krankenhauses in Gießen. Ich hatte wieder eine Aufgabe.
Ganz sicher hat dies sehr positiv auf mein Selbstwertgefühl gewirkt. Ich war mir wieder etwas wert.
Ein ganz angenehmer Nebeneffekt, war die Verbesserung meiner Grammatik und die Art zu formulieren. Ich hatte bis dahin tatsächlich, teilweise erhebliche Defizite, was sich in Beiträgen aus den Anfangsjahren dieses Forum auch (leider) noch ersehen lässt.
Es wird ersichtlich, dass mein Engagement hier, ungeheure Auswirkungen auf mein gesamtes Leben hatte.
Mit Eckhard hatte ich von Anfang an einen väterlichen Ratgeber und Freund. Er hat mir oft den Kopf etwas geradegerückt und mir Wege aufgezeigt. Heute nehmen diese Rolle, wenn auch bedeutet geringer, Ano und Johannes ein. Der Hitzkopf der ich einmal war, bin ich heute bestimmt nicht mehr.
Mein Denken hat sich positiv verändert. Ich stehe heute zu meinen Fehlern. Ich bin zielstrebiger geworden, kann planerisch Denken und Handeln. Ich habe zudem ein anderes Menschenbild erhalten.
Ihr seht, jeder beschreibt seinen eigenen Vorteil aus einer Vereinsmitgliedschaft anders. Die genannten hier, sind Meine.
Gruß
Matti