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Infektionsquelle Operation

18 Apr 2006 21:36 #1 von eckhard11 ✝
Infektionsquelle Operation
Antibiotika-Resistenz
Kreative Keime im Krankenhaus

Von Joachim Müller-Jung, Frankfurt


10. April 2006.
In den Krankenhäusern spielen sich seit einiger Zeit Szenen ab, die sich auch noch in der Sprache der Kliniker und Wissenschaftler wie der vorweggenommene Ernstfall der Pandemie ausnehmen: „Auf dem Höhepunkt des Ausbruchs, nachdem man sechs VRE-infizierte Patienten identifiziert hatte, wurde eine VRE-Eingreiftruppe und eine gemischte Infektionskontroll-Polizei gebildet.” VRE, das steht für vancomycinresistente Enterokokken - Bakterien im Körper, die auf eines der hoffnungsvollsten Antibiotika der letzten Jahre, den mikrobiologischen Rettungsanker, nicht mehr ansprechen. Der Ernstfall für die Krankenhaushygiene ist eingetreten.


Das Protokoll vom Oktober 2004 stammt von Ärzten einer Freiburger Klinik. Vergangene Woche wurde es auf dem European Congress of Clinical Microbiology and Infectious Diseases in Nizza vorgestellt, als mahnendes Dokument für die Kollegen in ganz Europa. Denn der Kontinent hat sich - wie fast alle bewohnten Regionen dieser Welt - mit den antibiotikaresistenten Keimen eine unaufhaltsam scheinende Bedrohung in die Krankenhäuser geholt.

Dem Erreger jagt man seit Jahren hinterher

Menschen, die mit vermeintlich harmlosen Befunden in die Klinik kommen, enden mit schwersten Wundinfektionen, Lungenentzündungen oder Blutvergiftungen auf der Intensivstation, weil sie sich just in der Klinik Keime einfangen, denen die klassischen Antibiotika nichts mehr anhaben können. Eigentlich ist das kein neues Phänomen: Dem multiresistenten Erreger Staphylococcus aureus (MRSA) jagt man seit Jahren hinterher.

Doch nicht nur blieb der große Durchbruch aus, jetzt scheint sich die Lage sogar zuzuspitzen: Bislang erfolgreiche Länder im Kampf gegen die vielfach resistenten Erreger wie Dänemark, Norwegen und Holland geraten zunehmend in Schwierigkeiten. Die Fachleute schlagen Alarm - und gehen mit ihren Warnrufen im Getöse des Vogelgrippe-Alarmismus unter. So forderte die Deutsche Gesellschaft für Krankenhaushygiene schon kurz vor ihrem jüngsten Jahreskongreß in Berlin neue „Task Forces” in den Bundesländern und Gesundheitsämtern.

Rabiate „Suchen-und-Zerstören-Strategie”

Zusammen mit Hygienefachkräften in den Kliniken sollen diese - ähnlich wie in niederländischen Kliniken - mit einer rabiaten „Suchen-und-Zerstören-Strategie” dafür sorgen, daß die Krankenhäuser mit multiresistenten Erregern schnell erkannt, isoliert und „antiseptisch saniert” werden. Die entsprechende Richtlinie, die das Robert-Koch-Institut als zuständige Bundesbehörde ausgearbeitet hat, gibt es schon länger.

Aber die Ausgaben werden offensichtlich gescheut. Für die Krankenhaushygieniker freilich ist die Investition in Diagnostik und Personal schon längst das ökonomische Gebot der Stunde: „Allein in Deutschland”, rechnet der Greifswalder Präsident der Krankenhaushygiene-Gesellschaft, Axel Kramer, vor, „kommt es jährlich zu bis zu 150.000 vermeidbaren Infektionen.” Für jede zusätzliche Erkrankung durch die resistenten Erreger aber müsse mit durchschnittlich 3.000 bis 10.000 Euro zusätzlicher Kosten gerechnet werden.

Zu häufig und häufig falsch verschrieben

Im Jahr 1990 galten nicht einmal zwei Prozent der registrierten Infektionserreger als antibiotikaresistent, heute sind es mehr als zwanzig Prozent. Dabei steht Deutschland noch vergleichsweise gut da. In Ländern wie Spanien, Italien, Griechenland, Frankreich, Japan, England oder den Vereinigten Staaten ist man bei mehr als fünfzig Prozent angekommen. Die Ursachen sind überall dieselben: Antibiotika werden von Ärzten zu häufig und häufig falsch verschrieben, nicht richtig dosiert und von den Patienten entgegen den Anweisungen angewendet - unregelmäßig geschluckt, zu früh oder zu spät abgesetzt und nicht selten regelrecht recycelt.

In den Kliniken bekommen etwa ein Drittel der Patienten Antibiotika - nach den Erfahrungen der Fachleute eindeutig zuviel. Die Ärzte und Pflegekräfte ihrerseits, auch das wurde in Nizza offen beklagt, beachten vielfach einfache Hygieneregeln nicht, vergessen beim Händewaschen die Fingerspritzen oder sind zu zögernd, wenn es um neue, innovative Verfahren zur Desinfektion von Schläuchen beispielsweise bei den häufigen Intubierungen geht. Wolfgang Krüger von der Universitätsklinik in Tübingen etwa warb in Nizza für die längst erprobte „selektive Darm-Dekontamination” als Maßnahme zum Schutz vor Lungeninfekten. Denn wie sich gezeigt hat, sind in Mund und Darm der Patienten mitunter so viele Keime vorhanden, daß eine Desinfektion vorbeugend wirken kann.

Ausbreitung allen Appellen zum Trotz

Die aggressiven Mikroben vermehren sich aber längst nicht mehr nur unter den selektiven Bedingungen der Intensivstationen massiv. „Inzwischen bringen die Hälfte der mit multiresistenten Bakterien infizierten Patienten die Keime bereits mit in die Krankenhäuser”, sagte der belgische Mikrobiologe Herman Goossens von der Universität Antwerpen auf dem Mikrobiologenkongreß. In seinem Land trugen bei einer Stichprobe ein Fünftel der Krankenpfleger die gefürchteten Erreger in sich.

In Holland entdeckte man bei vierzig Prozent der Mastschweine multiresistente Keime. Die maßlose Verwendung in Tiermastbetrieben scheint nicht geringer zu werden, sondern mit dem Dilemma der Antibiotikaresistenzen allen Appellen zum Trotz weiter zu wachsen. Zusammen mit den ebenso allzu großzügig verordneten Antibiotika bei niedergelassenen Ärzten kommt es zu einer Art Umweltverschmutzung, die mikrobiologisch neue und offenkundig bedrohliche Entwicklungen in Gang setzt: Immer öfter erscheinen auf Medizinerkongressen Berichte über resistente Bakterien mit spezieller genetischer Ausstattung, sogenannte ESBL (Extended-Spectrum Beta-Lactamases), die ein Gen oder ganze Genkassetten zur aktiven Zerstörung bestimmter Antibiotika mit sich herumtragen.

Ratlosigkeit vieler Fachleute noch verstärkt

Und diese wiederum können ihre Gene, was die Ausbreitung zusätzlich forciert, offenbar über die Artgrenzen hinweg an die verschiedensten anderen Mikrobenspezies übertragen. Vollkommen neue oder plötzlich aggressiv gewordene Erregertypen wie der in Belgien, Holland und Großbritannien für Unheil sorgende „Clostridium difficile” tauchen auf. Vermeintlich harmlose Bakterien auch wie Acinetobacter, die sonst eher als Boden- und Wasserorganismen in der Natur leben, finden, mit Resistenzgenen ausgestattet, den Weg in die Kliniken.

Was die Ratlosigkeit vieler Fachleute allerdings noch mehr verstärkt als die unkonventionellen Wege der mikrobiellen Resistenzgene ist die Tatenlosigkeit der Industrie. Nur ganz wenige, klagte Goossens, leisten sich die Entwicklung neuer Bakterienkiller, deren ökonomische Halbwertszeit niemand kennt. Und die neuen Wirkstoffkandidaten, etwa die Tigecycline, Telavancin oder Daptomycin, an denen Wissenschaftler heute intensiv arbeiten, sind alle mehr oder weniger von bekannten und leider vielfach schon stumpfen Waffen abgeleitet.

An einem neuen „Design” arbeiten Tübinger Pharmazeuten: Lutz Heide hat mit Alessandra Eustaquio und Shu-Ming Li und Kollegen aus Norwich, Ruth H. Flatman und Anthony Maxwell, in der Fachzeitschrift „Antimicrobial Agents and Chemotherapy” zwei neue Antibiotika-Kandidaten präsentiert - gewonnen aus harmlosen Bodenbakterien der Art Streptomyces. So nah liegen Freud und Leid der Bakterienfahnder beieinander.


Text: F.A.Z., 11.04.2006, Nr. 86 / Seite 10
Bildmaterial: picture-alliance/ dpa/dpaweb

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Eckhard
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